Struktur, Baby. Struktur!

22.05.2025

Nach einem Alkoholentzug im Rahmen eines stationären Aufenthaltes so weiter machen zu wollen und das Leben so weiter zu gestalten wie zuvor – nur halt ohne Alkohol-, ist ein sinnloses Unterfangen mit keinerlei Zukunftsperspektive.
Nach einem stationären Entzugsaufenthalt bedarf es einer neuen Struktur von Leben, Arbeit und zeit. Die Psychotherapeuten unter uns nennen dies strukturelle und funktionale Verhaltensänderung, Auf gut Deutsch würde man sagen: "Teil Dir Dein Leben und Deine Zeit gscheit ein" Dann ergeben sich neue und veränderte Räume für Leben, Arbeit und Zeit wie von selbst.Jedoch wisen wir aus der kognitiven Verhaltenspsychologie, dass Veränderungen - in diesem Fall der Tagesstruktur und des Zeitmanagement - vor allem eines brauchen: nämlich Zeit.

So benötigt die Etablierung von neuen Tages- und Zeitstrukturen laut Pschologen und Psychotherapeuten bis zu 90 Tage, also drei Monate.
Und: Es bginnt mit kleinen Schritten. (aber) dabei könnte Veränderung einfach beginnen, indem wir zuerst die Zeitrahmen für Aufsteh- und Schlafenszeit sowie die Zeiträume für Frühstück, Mittagessen und Abendessen definieren. Betonung: Zeitrahmen.
Also beispielsweise Aufstehen zwischen sechs und sieben Uhr morgens. Nicht unbedingt Punkt 6 Uhr 30. Die Zeit dazwischen füllen bzw. zum nächsten Fixpiunkt füllen wir mit sinn-stiftenden Aktivitäten, egal ob man in einem Arbeitsverhältnis steht, als Freelancer arbeitet oder arbeitssuchend oder Pensionist ist. Erfahrungsgemäß stehen jedoch alkoholkranke Menschen selten in einem aufrechten Arbeitsverhältnis. Es würden Kraft und Durchhaltevermögen fehlen. Und ein acht- oder zwölfwöchiger stationärer Entzugsaufenthalt wäre so kaum möglich.

Etwas Sinnstiftendes zu tun, bedeutet nun nicht zwingends, die Welt zu retten , die Probleme der Klimakrise zu lösen oder den Palästina- oder Ukrainekrieg zu beenden. Es bedeutet, etwas zu tun, was einem Spaß macht und mit Spaß sich der Sinn für einen selbst ergibt. Den Hund ausführen, Blumenbeet und Gemüsepflanzen zu gießen, Geschirrspüler einräumen, das Fahrrad saisonbedingt im Frühjahr fahrbereit ind im Spätherbst winterfest zu machen.
Sinnstiftendes zu tun, bedeutet, nachhaltig für den eigenen Geist, die Psyche zu leben. Der Hund freut sich über den Spaziergang, Blumen blühen farbenfroh nach dem Gießen, das Gemüse sprosst und gedeiht, das Geschirr ist wenige Stunden später wieder sauber, und durch gute Wartung des Fahrrades wird seine Lebensdauer verlängert.
Spaß und Freude haben ind er kognitiven positiven Psychologie - no na - einen hohen Stellenwert. Bedeutet aber nicht, daß man den ganzen Tag mit einem - oftmals erzwungenen - lachenden Gesicht herum laufen muss oder soll. Aber, sich nach dem Aufwachen auf etwas freuen zu können, erhellt den Tag.

"Binsenweisheiten" eigentlich, aber, sag das mal einem Trinker.

Freude, ach Freude. Und sei es "nur", in den Garten zugehen, Lilien zu schneiden, in die Vase stellen und damit Wohnzimmer und Küche zu behübschen. Auf den ersten Blick eine Kleinigkeit, wirkt aber insofern Wunder, als man tätig ist und so die Gedanken an Alkohol rasch vergisst. So kann man erhellt durch den Tag, durch die frische Luft und den Duft der Lilien-Blüten gehen.

Tatsächlich war es schwierig, den Tages-Rhythmus umzustellen und so was von einer (neuen) Struktur hinein zu bringen. Obwohl, ich hatte ja keine Struktur, der Alkohol hielt mich eindringlich davon ab, irgendeinen Rhythmus oder eine Struktur in mein Leben zu bringen.
Bisher war meine erste und einzige wichtige Begebenheit des Tages, um 7 Uhr 15 morgens zuerst Zigaretten zu besorgen um nachfolgend den Supermarkt für eine Flasche Wodka heimzusuchen. Und ja, der Hud musste gefüttert und zumindest einmal am Tag durch die Wiesen und felder bewegt werden. Ansonsten galt der Tag dem Alkohol, den Dahinschlafen vor dem Fernseher, Rauchen und Pinkeln gehen. Essen kann, oder muss nicht sein, wie der gelernte Alkoholiker weiß.
Und falls ich es schaffte, die morgenss erworbene Flasche Wodka leer zu trinken, wankte ich nochmals zum Supermarkt, um Nachschub zu besorgen. Nichts Schlimmeres für eine Süchtigen, als keinen Stoff mehr zu Hause zu haben.

Für den Anfang - unmittelbar nach Ende des stationären Entzugsaufenthaltes - hatte ich viel Zeit für den Hund eingeplant, hatte einen Aufsteh-Zeitrahmen definiert sowie die täglichen Pflichten in Haushalt und Garten festgelegt.
Das eher frühere Aufstehen hat mir übrigens keinerlei Mühe bereitet. Seit dem Entzugsaufenthalt war ich unter die Frühaufsteher gegangen. Zuvor hinderte mich ohnehin der Alkoholkonsum an der Etablierung eines vernünftigen Schlaf-/Wach-Rhythmus.
Die Zeit zwischen den auferlegten Aufgaben fülle ich mit Schreiben, dem Entwickeln von Medien-Konzepten und-Formaten. Täglich ein Kapitel für ein kommendes Buch. Alles weitere ist Übung zur Etablierung einer neuen Struktur.

Wobei der Faktor Zeit ohnehin eine untergeordnete Rolle spielt im Leben eines Alkoholikers – mit Ausnahme der Öffnungs- und Ladenschluß-Zeiten eines Supermarktes. Der Faktor Zeit wird für einen Alkoholiker zunehmend zu einer wabbeligen, vernebelten Suppe, in der man dahin vegetiert. Und die Blase wird immer größer, bis man darin ertrinkt.


Illustration: Bernd Klaus Achter

Hasttags: #Alkohol #Alkoholiker #Wodka #Tagesstruktur


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